Seelenzwischenwelten

Die Feldmaus und der Geist

Es war eine Feldmaus, die ackerte und wuselte, so viel sie nur konnte.
Futter organisieren, überleben, Tag für Tag.
Sie mühte sich ab, und gab alles, nur für das Gedenken an das ihr
gegebene Leben, bis schließlich der Tag kam, an dem sie einfach nicht
mehr konnte.
Manche sagten, dass sie nicht mehr gewollt hätte, dass ihr alles
zuwider gewesen wäre, und sie sich nur stur in ihr Verderben gestürzt
hätte. Aber in Wirklichkeit war sie einfach nur mehr ohne Kraft.

So schlurfte sie ihren erschöpften Körper in eine alte Scheune. Ermattet
legte sie sich zwischen ein paar Heuballen nieder. Schnaubte, atmete immer
schwerer, doch fand sie einfach keine Ruhe, keinen Frieden.
Frieden mit sich, Frieden mit der Welt, Frieden zu gehen.

Da hörte sie auf einmal ein Schluchzen, sah sich um, und fand für sich so
garnichts. Sie begann an sich zu zweifeln. Sei sie schon so erschöpft, dass
sie nichts mehr wahrnimmt oder doch gar zu viel?
Manche sagten, sie sei durchgedreht, hätte Wahnvorstellungen gehabt.
Aber in Wirklichkeit war sie genauso hellhörig und feinfühlig, wie schon
im Leben.

Was sie wahrnahm, war ein einsamer Geist, der auf einem Balken
in der Scheune saß, und vor sich hin trauerte. Nie fand ihn jemand
hier, nie wurde ihm auch nur Aufmerksamkeit gewährt, obwohl sogar
Bauern mal ein, mal auskehrten. Da niemand von ihnen jedoch so nah
am Tode stand, waren diese unseligen Geschöpfe fremd und fern.

So bemerkte einzig die sterbende Feldmaus den Geist, da sie mittlerweile
schon auf der Schwelle ins nächste Reich lag.
Erschöpft, wie sie war, bekam sie kaum mehr ein Wort heraus, doch
versuchte dennoch in die Scheune zu rufen: 'Wer... wer ist da?' fiepste
sie, 'Ist da wer?' quietschten leise ihre Worte in den weiten Raum.

Gerade als sie dachte, dass sie es sich doch nur scheinbar einzubilden schien,
kam der Geist unsichtbar heruntergeflogen und setzte sich neben die
Maus. Sein Wehen und Schluchzen nun deutlichst zu vernehmen, die Nähe
des Geistes spürend, empfand die Feldmaus jedoch keine Angst, sondern
Erleichterung. Endlich jemand, der da war, jemand der Anwesenheit zeigte,
gerade jetzt, wo sich sonst alle von ihrer Seite abgekehrt hatten.
Manche sagten, dass sie es so wollte, dass sie immer für sich stand und eigensinnig
handelte. In Wirklichkeit war sie nur einfach bemüht, war immer getrieben und
gehetzt, das Überleben umzusetzen.

Die Feldmaus keuchte etwas, und flüsterte dann in ihren schrillen Tönen
'Was bekümmert dich so, gequälte Stimme? Was macht dich so traurig?'
doch verstand der Geist leider keines der Worte, weinte nur bitterlich für sich und
sah die kleine sterbende Feldmaus vor sich. So streichelte er sie in seinem Wehen
mit seinen kalten, durchscheinenden Händen, und lies ebenso fragend an die Maus
sein Klagelied ertönen: 'Arme Maus, was hast du nur? Du siehst noch so lebendig
aus und doch bist du schon dabei zu gehen.'
Doch auch die Maus verstand kein einziges Wort. Sie hörte einzig das Schluchzen
und spürte den Hauch der Kühle über sich wehen.

So lag die Feldmaus nur mehr entkräftet da, ihre Augen schon gläsern,
ihr Blick sehr starr. Das Gespenst dafür bestand kniend neben ihr, bedacht,
trauernd, aber nicht allein.
Man verstand nichts und dennoch verlies keiner der beiden den
anderen. Weder wandte sich die sterbende Feldmaus in ihren letzten
Gedanken von der ihr unsichtbaren Gestalt ab, noch der Geist von dem
so zerbrechlich endenden Wesen am Boden, wodurch die Maus endlich
ihren Frieden für sich, mit der Welt sowie die letzte Ruhe fand.
Manche sagten, die Feldmaus wäre allein gewesen, wäre gegangen und
den Geist habe es niemals gegeben. In Wirklichkeit aber waren sie
zu zweit, waren nur mehr gezeichnet, und verlassen vom Leben.



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